Der geheimnisvolle blaue Brief
(auf meinem YOUTUBE-Kanal findet ihr auch das Hörspiel hierzu)
Ding Dong. Ich öffnete die Augen und sah auf meine Uhr. Auf der Digitalanzeige leuchteten die roten Zahlen schwach im Sonnenlicht. 7:12:36. Ding Dong. Ding Dong.
Wer auch immer da vor meiner Tür stand, er – oder sie – würde anscheinend nicht locker lassen, bevor ich nicht vor ihm stand. Genervt schlug ich meine mit rosa Schweinchen bedruckte Decke zurück, schlüpfte in meine pinken Kuschelschuhe und schlurfte zur Tür. Mit einem Ruck riss ich diese auf und öffnete schon den Mund, um meinem ungebetenen Gast mit einigen harschen Worten zu vertreiben, verstummte aber schlagartig, als ich in das grimmige Gesicht meines Vermieters starrte.
Schnell veränderte sich meine Miene von einer Furcht einflößenden Grimasse in ein strahlendes Lächeln. Dieses Strahlen hatte schon den verbittertesten Troll zum Schmunzeln gebracht, aber an meinem Vermieter prallte es ab wie ein Gummiball an der Wand.
Ohne ein Wort zu sagen, drückte er mir einen Briefumschlag in die Hand und verschwand im Hausflur. Ich fragte mich gerade, ob er mich wohl zu einer Grillparty eingeladen hatte, als mir die berüchtigten „blauen Briefe“ wieder einfielen. Das Couvert erstrahlte in dem gleichen himmelblauen Glanz wie damals in der Schule.
Ich schloss also mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen die Tür hinter mir und stapfte in die Küche, um mir erstmal etwas zu Essen zu machen. Um nicht in Panik vor dem zu geraten, was möglicherweise alles in dem Brief stehen könnte, legte ich ihn auf die hinterste Ecke meines 1 mal 1,20 Meter großen Küchentischs und entfernte mich Richtung Kühlschrank, in dem mich wahrscheinlich wie immer eine gähnende Leere erwartete.
Mit einem Quietschen öffnete ich die mit gelben Notizzettel beklebte Kühlschranktür und wundersamer Weise fanden sich dahinter tatsächlich noch ein Tetrapack Milch und eine dreiviertel leere Cornflakes-Schachtel. Ich stellte meine nicht gerade gesunden aber doch nahrhaften Frühstücksutensilien auf den Tisch und holte noch schnell eine Schüssel und einen Löffel aus dem Schrank. Mit einem Plumps ließ ich mich auf einen der Stühle fallen und füllte meine Schüssel mit Milch und Cornflakes. Erst nach dem vierten Löffel extra schokiger Schokoflakes hob ich vorsichtig den Blick und betrachtete den Briefumschlag auf der anderen Seite des Tisches.
Ich fühlte mich wie ein Cowboy im Wilden Westen, der seinem schlimmsten Feind gegenüber steht und auf das Zeichen wartet, endlich schießen zu dürfen, um die ganze Sache zu beenden. Ich meinerseits wartete darauf, dass der Brief sich in Luft auflöst oder unter dem Druck meines Blickes verbrennt. Da nichts davon passiert, sehe ich mich schließlich genötigt mich zu erheben und dem Ganzen selbst ein Ende zu bereiten, indem ich den Brief einfach öffne.